Chancen durch Transformation: Fokus Arbeitsrecht – Vorgeschaltetes Freiwilligenprogramm

29.10.2024

2. August 2024 Theresa Kipp und Sophie Spicker

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Das Freiwilligenprogramm ist ein bewährtes und rechtssicheres Instrument bei Transformationen, das in seiner Umsetzung jedoch besonderer Sorgfalt bedarf.

Personalabbaumaßnahmen in größerem Umfang stellen Unternehmen regelmäßig vor große Herausforderungen. Der massenhafte Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen ist nicht nur in rechtlicher Hinsicht komplex, sondern kann zudem negative Folgen auf das Betriebsklima und das Image des Unternehmens haben. Arbeitgeber* wählen daher zunehmend den Weg über sogenannte Freiwilligenprogramme. Dabei erfolgt der Personalabbau auf freiwilliger Basis, insbesondere über Aufhebungsverträge und Vorruhestands- bzw. Altersteilzeitlösungen. Freiwilligenprogramme bieten damit für die Belegschaft eine sozialverträgliche Alternative zum einseitigen Personalabbau mittels betriebsbedingter Kündigungen. Gleichzeitig kann der Arbeitgeber die mit dem Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen einhergehenden Risiken (Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigungen, Rechtsverfolgungskosten im Rahmen von Kündigungsschutzstreitigkeiten, Annahmeverzugslohnrisiko, Erhöhung der Abfindung in einem Vergleich, Imageverlust und Unruhe im Betrieb) entgehen und damit frühzeitig Rechts-, Planungs- und Kostensicherheit erlangen. 

Was ist ein (vorgeschaltetes) Freiwilligenprogramm? 

Das sogenannte vorgeschaltete Freiwilligenprogramm stellt eine Variante dar, in der das Freiwilligenprogramm vorgelagert zu einem einseitigen Personalabbau stattfindet. Während eines im Vorfeld festgelegten Zeitraums (z.B. von sechs Wochen) haben Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich für die Teilnahme am vorgeschalteten Freiwilligenprogramm innerhalb einer gesetzten Frist zu melden und freiwillig – typischerweise im Wege von Aufhebungsverträgen – aus dem Unternehmen auszuscheiden. Können die gesetzten Abbauziele durch das vorgeschaltete Freiwilligenprogramm nicht vollständig erreicht werden, spricht der Arbeitgeber nach Ablauf der Laufzeit des Programms betriebsbedingte Kündigungen aus.

Durch das vorgeschaltete Freiwilligenprogramm kann der Arbeitgeber einen möglichst großen Teil des Abbaubedarfs rechtssicher und schnell erreichen und dadurch gegebenenfalls Arbeitnehmer im Unternehmen halten, die anderenfalls (nach Sozialauswahlkriterien) von einer Kündigung betroffen wären. Im besten Fall werden die Personalabbauziele bereits durch das vorgeschaltete Freiwilligenprogramm erreicht und der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen vollständig vermieden.

Nicht in jedem Personalabbau-Szenario ist jedoch die Durchführung eines vorgeschalteten Freiwilligenprogramms zweckmäßig. Stehen die vom Abbau betroffenen Arbeitsplätze beispielsweise bereits konkret fest, würde ein vorgeschaltetes Freiwilligenprogramm den Personalabbau nur unnötig in die Länge ziehen. Dasselbe gilt, wenn bereits absehbar ist, dass sich keine freiwilligen Teilnehmer am Programm finden werden (z.B. aufgrund schlechter Arbeitsmarktlage in der Branche). Der Teilnahmewillen am Programm und damit der Erfolg des Freiwilligenprogramms hängt schließlich ganz maßgeblich von der Dotierung des Programms ab. Das vorgeschaltete Freiwilligenprogramm sieht (in aller Regel) höhere Abfindungsleistungen als ein (späterer) Sozialplan vor. Die Entscheidung über die Aufstellung eines Freiwilligenprogramms muss daher auch unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Restrukturierungsbudgets getroffen werden.

Ausgestaltung vorgeschalteter Freiwilligenprogramme ist vielfältig

Typischerweise besteht das vorgeschaltete Freiwilligenprogramm aus dem freiwilligen Ausscheiden des Arbeitnehmers gegen Zahlung einer Abfindung durch den Arbeitgeber. Im Einzelnen lassen sich die Ausscheidekonditionen und weiteren Regelungsinhalte des Programms jedoch vielfältig ausgestalten. Grenzen ergeben sich dabei aus höherrangigem Recht (insbesondere den Diskriminierungsverboten des AGG und dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz). Für den Arbeitgeber stellt sich damit die Herausforderung, die konkrete Ausgestaltung des Freiwilligenprogramms unter Beachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen an die individuelle Unternehmenssituation adäquat anzupassen.

Grundsätzlich hat der Arbeitgeber bei der Ausgestaltung festzulegen, ob er das Programm offen für alle Arbeitnehmer oder beschränkt auf bestimmte Arbeitnehmer(gruppen) ausgestalten möchte. Abgesehen von Stilllegungsszenarien entspricht es in aller Regel dem Interesse des Arbeitgebers, das Programm auf bestimmte Arbeitnehmer(gruppen) zu beschränken, um einen „passgenauen“ Personalabbau zu gewährleisten (z.B. Beschränkung auf bestimmte Betriebsteile oder durch Ausschluss wichtiger Leistungs- und Know-How-Träger). In diesem Fall bedarf die Ausgestaltung des Geltungsbereichs des Programms sowie die Auswahl der Teilnehmer im Einzelfall besonderer Sorgfalt. Zu Unrecht ausgeschlossene Arbeitnehmergruppen könnten sich auf den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung berufen, um ihre Teilnahme am Programm einzufordern. 

Wesentlich ist in diesem Zusammenhang auch die Regelung des sogenannten „doppelten Freiwilligkeitsvorbehalts“. Dabei behält sich der Arbeitgeber ausdrücklich vor, seinerseits im Einzelfall den Abschluss eines Aufhebungsvertrags abzulehnen, wenngleich der Geltungsbereich des Programms eröffnet ist. Sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer steht es mithin frei, einen Aufhebungsvertrag abzuschließen. Für den Arbeitgeber empfiehlt sich die explizite Aufnahme des doppelten Freiwilligkeitsvorbehalts, um so einen Anspruch der Arbeitnehmer auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags auszuschließen.

Vorgeschaltete Freiwilligenprogramme: Einbindung des Betriebsrats nicht notwendig, aber zu empfehlen

Wenngleich die Beteiligung des Betriebsrats bei der Aufstellung und Durchführung eines vorgeschalteten Freiwilligenprogramms rechtlich in der Regel nicht zwingend erforderlich ist, ist die entsprechende Einbindung der Arbeitnehmervertretung in der Praxis oftmals zu empfehlen. Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat aufgestellte Freiwilligenprogramme erhöhen regelmäßig die Akzeptanz in der Belegschaft sowohl hinsichtlich der Personalabbaumaßnahmen als auch im Hinblick auf das konkrete Freiwilligenprogramm und dessen Konditionen.

Das vorgeschaltete Freiwilligenprogramm hat in zeitlicher Hinsicht den Vorteil, dass dieses noch vor Abschluss der (unter Umständen langwierigen) Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen vereinbart und umgesetzt werden kann. In der Praxis empfiehlt es sich gleichwohl, das Freiwilligenprogramm gegenüber den Mitarbeitern zu einem Zeitpunkt zu verkünden, in dem die Sozialplandotierung zumindest in Grundzügen feststeht, um so die Vorteile der Teilnahme am Programm hervorzuheben. Gemeinsam mit dem Betriebsrat verhandelte Freiwilligenprogramme werden in aller Regel in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung aufgestellt.

Besteht kein Betriebsrat oder möchte der Arbeitgeber das Freiwilligenprogramm ohne die Einbindung eines solchen aufstellen, kann die Information der Belegschaft beispielsweise durch eine Veröffentlichung im Intranet oder per Rundschreiben erfolgen. Auch hier ist die Aufnahme eines doppelten Freiwilligkeitsvorbehalts zu empfehlen, um einen Anspruch der Arbeitnehmer auf Teilnahme am Freiwilligenprogramm auf Grundlage einer Gesamtzusage auszuschließen.

Durchführung eines Massenentlassungsverfahrens

Regelmäßig stellt sich für den Arbeitgeber die Frage, ob und wie genau bei einem vorgeschalteten Freiwilligenprogramm das Massenentlassungsverfahren – d.h. Konsultation des Betriebsrats und Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit – durchzuführen ist.

Auch Aufhebungsverträge sind anzeigepflichtige Entlassungen i.S.v. § 17 KSchG. Daher sind auch sie – trotz übereinstimmendem Beendigungswusch von Arbeitgeber und Arbeitnehmer – nach noch geltender Rechtsprechung im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Durchführung des Massenentlassungsverfahrens gemäß §§ 17 KSchG, 134 BGB unwirksam. Die Rechtsprechung des BAG zur Massenentlassung und den Folgen etwaiger formeller Fehler in diesem Verfahren ist im Fluss; derzeit liegt eine Divergenzanfrage des 6. Senats beim 2. Senat vor. Sollte sich die Rechtsauffassung des 6. Senats durchsetzen, würde dies das Risiko für Arbeitgeber, im Rahmen von anzeigepflichtigen Personalabbaumaßnahmen unwirksame Kündigungen auszusprechen, deutlich reduzieren. Erreicht der Personalabbau mittels Freiwilligenprogramm die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG sollte der Betriebsrat jedoch nach derzeitiger Rechtsprechung gemäß § 17 Abs. 2 KSchG unterrichtet und der Agentur für Arbeit Anzeige der Massenentlassung erstattet werden. Die Massenentlassungsanzeige ist dabei zeitlich vor dem Zustandekommen der Aufhebungsvereinbarungen zu erstatten. 

Dieser zeitliche Bezugspunkt stellt den Arbeitgeber regelmäßig vor praktische Herausforderungen, da der Arbeitgeber in aller Regel nicht weiß, ob und wann die Arbeitnehmer ein unterbreitetes Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags annehmen werden. In der Praxis empfiehlt es sich daher, den Arbeitnehmern zunächst einen von der Arbeitgeberseite noch nicht unterzeichneten Entwurf eines Aufhebungsvertrags zu übersenden und die Massenentlassungsanzeige nach Erhalt des vom Arbeitnehmer unterzeichneten Vertragsentwurfs zu erstatten. Die Gegenzeichnung des Aufhebungsvertrags durch den Arbeitgeber und damit das Zustandekommen des Vertrags erfolgt damit nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige. Dieses Vorgehen erlaubt es dem Arbeitgeber darüber hinaus, den Personalabbau mittels (vorgeschalteten) Freiwilligenprogramm durch die Durchführung mehrerer „Entlassungswellen“ gezielt zu steuern, um so jeweils unter den Schwellenwerten des § 17 Abs. 1 KSchG zu bleiben und der Pflicht zur Massenentlassungsanzeige zu entgehen. Insbesondere bei komplexen Personalabbaumaßnahmen sollte zudem eine frühzeitig mit der zuständigen Agentur für Arbeit Kontakt aufgenommen werden, um die zeitliche Planung des Personalabbaus darzustellen.

Vorgeschaltetes Freiwilligenprogramm mit Transfergesellschaft?

Nicht selten stellt sich zudem die Frage, ob im Rahmen eines vorgeschalteten Freiwilligenprogramms die Einbindung einer Transfergesellschaft rechtlich zulässig bzw. zweckmäßig ist. 

Bei Einsatz einer Transfergesellschaft wird grundsätzlich den betriebsbedingt zu entlassenden Arbeitnehmern angeboten, unter Aufhebung ihres Arbeitsvertrags beim bisherigen Arbeitgeber für einen befristeten Zeitraum in einer – in der Regel externen – Transfergesellschaft tätig zu sein. Die Arbeitnehmer erhalten in dieser Zeit die Möglichkeit, Qualifizierungen zu erwerben sowie sich auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren. Ziel der Transfergesellschaft ist es, die Arbeitnehmer möglichst frühzeitig in eine neue Beschäftigung zu bekommen, um so eine etwaige Arbeitslosigkeit zu vermeiden.  

Häufig ist in der Praxis die Förderung durch die Agentur für Arbeit für den Einsatz einer Transfergesellschaft maßgebend. Wichtiges Finanzierungsmittel ist das Transferkurzarbeitergeld der Bundesagentur für Arbeit. Maßgebende Voraussetzung für die Bewilligung des Transferkurzarbeitergelds ist die „Bedrohung von Arbeitslosigkeit“ gem. § 111 SGB III, welche im Regelfall bei einem vorgeschalteten Freiwilligenprogramm nicht vorliegen wird. Dennoch zeigt die arbeitsrechtliche Praxis, dass die Arbeitsagenturen auch im Rahmen von vorgeschalteten Freiwilligenprogrammen, Transferkurzarbeitergeld durchaus bewilligt haben. Hier ist es oftmals sinnvoll und hilfreich, sich bereits vorab frühzeitig mit der zuständigen Agentur für Arbeit in Verbindung zu setzen und über die Möglichkeiten zur Einbindung einer Transfergesellschaft beraten zu lassen. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Vorteile ist der Einsatz eines Freiwilligenprogrammes in vielen Konstellationen des Personalabbaus sinnvoll. Bei der Umsetzung sind jedoch einige rechtliche und praktische Weichenstellungen zu beachten.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.